Eine Geschichte vom Erfolg eines Berufsverbandes in Deutschland
von Therese Ackermann
Ich arbeite seit 15 Jahren überwiegend freiberuflich in der Trickfilmbranche als Animatorin. Fast alle meine Geschwister arbeiten ebenfalls frei in kunstschaffenden Berufen. Obwohl wir in ganz unterschiedlichen Bereichen tätig sind, ähneln sich die beruflichen Problematiken sehr häufig.
Eine Schwester,zum Beispiel, ist Bühnen- und Kostümbildnerin. Sie arbeitet bundesweit an verschiedenen Theatern – immer projektbezogen. Oft geht es in unseren Gesprächen darum, wo das nächste Projekt stattfindet und wann. Wird man selbst dabei sein oder nicht? Startet demnächst überhaupt ein Projekt? Und so weiter und so fort…
Im November 2012 hatten wir dann plötzlich ein neues großes Gesprächsthema: aus dem Jahressteuergesetz für 2013 ging hervor, dass Bühnen- und Kostümbildner anstelle von bisher 7% Umsatzsteuer von nun an – und vor allem rückwirkend für bis zu 6 Jahre – 19% Umsatzsteuer, verbunden mit 6% Zinsen zu entrichten haben. Das konkrete Problem für die Betroffenen war, dass Theater in Deutschland grundsätzlich umsatzsteuerbefreit sind, so dass eine verhandelte Gage die Umsatzsteuer bereits beinhaltet! Ein nachträgliches in Rechnung stellen der nun fehlenden 12% war also nicht möglich!
In Deutschland sind etwa 2000 Bühnen- und Kostümbildner aktiv. Die Steuernachforderung stellte eine existenzielle Bedrohung für die meisten von ihnen dar. Außerdem wären die Gagen der Betroffenen auch in Zukunft kaum derart nach oben verhandelbar gewesen. Viele kleine Bühnen und Stadttheater können schlicht nicht mehr bezahlen.
Fast noch schlimmer als die Nachforderungen der Finanzämter war aber die damit verbundene Degradierung einer ganzen Berufsgruppe. Denn ein Steuersatz von 19% hieße, dass Bühnen- und Kostümbildner von künstlerischen Mitarbeitern zu Dienstleistern herabgestuft würden. Und das, obwohl die meisten Bühnen- und Kostümbildner Absolventen von Kunsthochschulen sind. Was wären die Konsequenzen? Würde das womöglich den Ausschluss aus der KSK bedeuten?
Meine Schwester war zu diesem Zeitpunkt schon seit einigen Jahren Mitglied im Bund der Szenografen e.V., dem „Berufsverband, dessen Mitglieder Bühnen-, Kostüm- und Maskenbilderinnen für Theater, der Szenen- und Kostümbildnerinnen für Film, Fernsehen und Video, der Puppengestalterinnen und Puppentheateraustatterinnen, sowie der Videokünstler und Lichtdesigner für Theater sind.“ Sie begann, sich gemeinsam mit Kollegen aktiv in diesem Berufsverband zu engagieren.
Gemeinsam wurde also informiert, beraten, mobilisiert und protestiert. Steuerberater und Anwälte wurden konsultiert. Der Bund der Szenografen hat ein Protestschreiben verfasst und auf seiner Homepage veröffentlicht. Es folgten Pressemitteilungen. Briefe wurden an den Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit, die Kunsthochschulen, die Akademie der Künste Berlin und an die Intendanten der Theater, mit der Bitte um Unterstützung geschickt. Einige der Intendanten bezogen klar Position für die Bühnen- und Kostümbildner und schrieben wiederum Briefe an ihre Ministerpräsidenten. Die Akademie der Künste Berlin bat um Solidarität in den Reihen ihrer Mitglieder und wendete sich an das Bundesministerium für Kultur und das Bundesministerium für Finanzen. Es wurde demonstriert und ein Rechtshilfefond eingerichtet – für den Fall, dass es zu einer rechtlichen Auseinandersetzung kommt.
Der Verlauf der Arbeit, die Protestschreiben, Mitteilungen und Briefe, sind auf der Seite www.szenografen-bund.de nachlesbar.
Im Februar 2014 konnte schließlich der große Erfolg verzeichnet werden. Die Rechtssicherheit wurde auf politischem Weg erreicht! Die Finanzämter waren vom Bundesministerium für Finanzen angewiesen worden, den Steuersatz für Bühnen- und Kostümbildner von 7% weiterhin anzuwenden.
Ich weiß noch genau wie ich mich fühlte, als meine Schwester im Winter 2012 zum ersten Mal von den Rückforderungen der Finanzämter sprach. Ich war erschrocken und verblüfft, dass es überhaupt möglich war, eine ganze Berufsgruppe plötzlich steuerlich neu einzuordnen. Sofort dachte ich damals über einen Berufsverband der Animations-filmschaffenden nach, nicht ahnend, dass dieser kurze Zeit zuvor gegründet worden war! Diese Geschichte ist für mich ein Paradebeispiel, wie viel man in einem Interessenverband erreichen kann. Mir wurde klar, wie wichtig es ist, auch ohne einen solchen Ernstfall einen Berufsverband zu haben, der präsent und aktiv ist.
Die Szene der Trickfilmschaffenden in Deutschland ist überschaubar, aber ganz bestimmt nicht klein. Es gibt viele wichtige und interessante Themen, die besprochen werden sollten, ganz zu schweigen von unserer Arbeit, die gezeigt werden will!